Im Workshop nutzen Doktorand:innen die Möglichkeit, ihre aktuellen Forschungsprojekte einem größeren Publikum als bislang zu präsentieren und online live zur Diskussion zu stellen. Der Schwerpunkt der Themen wird das Spätmittelalter betrachten, sowohl nördlich als auch südlich der Alpen, dabei werden verschiedene methodische Ansätze, von den „gender studies“ bis zur „new philology“, angewendet.
Herzliche Einladung zur Teilnahme an alle interessierten Hörende nach Voranmeldung!
Bericht über den Kongress “Veritas in a time of truths – The Dominicans and 20th century ideologies” [Wahrheit in einer Zeit von Wahrheiten – Die Dominikaner und die Ideologien des 20. Jahrhunderts]; Leipzig, 19. – 21.12-2021
Vom 19. bis 21. November fand der internationale Kongress unter genanntem Thema „Wahrheit in einer Zeit der Wahrheiten“ im Leipziger Aurelius Arkenau-Haus (Gästehaus des Dominikanerklosters) statt. Wegen der Beiträger aus verschiedenen europäischen Ländern war Englisch die Tagungssprache. Das interessante Forschungsfeld der Ideologien des 20. Jahrhunderts war also mit dem Focus „Wahrheit“ ausgewählt worden und nicht etwa „Widerstand“ (resistance) wie häufig. Es war ein Jahrhundert, dass den Aufstieg und Verfall konkurrierender Ideologien wie Faschismus und Kommunismus sah, die Transformation kolonialer Herrschaften im Imperialismus in mehr subtile Formen der Weltherrschaft, und den Wechsel vom romantischen Nationalismus des 19. Jahrhundert hin zu einem Nationalismus der Nationalstaaten. Der übersteigerte Nationalismus war selbst eine Ideologie oder konnte als fruchtbarer Boden verschiedenen Ideologien dienen. Selbst Kultur und Religion konnten ideologisch gebraucht werden, wie der Aufsatztitel „Dürer als Führer“ des Dominikaners Lukas Knackfuss vom Anfang des 20. Jahrhunderts zeigt, der – mehrfach nachgedruckt – Dürer als Wegweiser durch die vom Verfall bedrohte Kunstszene der Gegenwart in Anspruch nahm.
Das mittelalterliche Dominikanerkloster, das in der Reformation zur Universitätskirche wurde, wurde 1968 im Auftrag der SED gesprengt und bot in restaurierter Form Anschauungsmaterial zum Thema.
Nach dem herzlichen Willkommen von Elias H. Füllenbach OP vom IGDom (Provinzinstitut für die Geschichte des deutschen Sprachraums, führte Claus Arnold in das Denken von Albert Maria Weiß OP, dem konservativen Anreger und Vordenker der antimodernistischen Enyzklika Pascendi ein. Claus Arnold zitierte zu damaligen Zeitfragen aus Schriften des Fribourger Apologeten. Dem folgte Tomás Petracek, der aus dem Privatarchiv des Friburger Professors für Altes Testament derselben Universität, Vincent Zapletal, dessen „progressive“ und „moderne“ Stellungnahmen und Reflexionen zu sozialen, politischen und kirchlichen Herausforderungen der Zeit zusammenstellte. Sabine Schratz zeigte, dass die Geheimgesellschaften in der amerikanischen Arbeiterschaft eine Auswirkung auf die päpstliche Sozialenzyklika „Rerum Novarum“ von 1891 hatten. Als Folge der Petitionen amerikanischer Bischöfe, das die Gemeingesellschaften und Unionen den Interessen der Arbeiterschaft dienten und keinen freimaurerischen Hintergrund hatten, wurde von der Kurie deren Verurteilung suspendiert; dann bekräftigte “Rerum Novarum“ das Recht der Arbeiterschaft, sich zu Gewerkschaften zur verbinden. Verurteilt ohne Namensnennung wurde der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Henry George und seine Aktivität zur Besteuerung von Profiten aus Landbesitz, was als sozialistisch erachtet wurde. Casten Barwasser stellte den Fribourger (und als Schweizer Mitglied der Teutonia) Gallus Manser und seinen strikten Thomismus vor. Dieser ermöglichte nach Manser ein realistisches und objektives Wissen gegen die Herausforderungen des modernen Phänomenalismus. Allerdings führte die These, die einzig objektiv wahre Sicht zu sein, dazu, dass dieser Thomismus selbst ideologisch wurde. Am Abend stellte Elias H. Füllenbach einen der bekanntesten Leipziger Dominikaner, Aurelius Arkenau (+ 1991), vor. In seinem Leben fand eine Wandlung von Grundeinstellungen statt von Vermittlungsversuchen zum Nationalsozialismus 1933 in Vechta hin zur Rettung vieler Juden, Kommunisten und anderer Verfolgter des Regimes in Leipzig. In Unkenntnis davon feindeten Arkenau Mitbrüder in Vechta, wohin er nach dem Krieg versetzt wurde, als “Nazipater” an. Erst posthum wurde er zum “Gerechten unter den Völkern” erklärt.
Am Samstag stellte Chiara Tessaris Franziskus M. Stratmann und Antonin-Gilbert Sertillanges mit ihren jeweiligen Antworten auf patriotischem Nationalismus und die internationalen Friedensinitiativen Papst Benedikts während des Ersten Weltkrieges vor. Infolge dessen war Stratmann Pazifist geworden. Ähnlich wie bei Arkenau gab es bei Stratmann einen grundlegenden Wandel in seinem Leben, der es hinfort prägte. Alberto Casella beschrieb die Breite der individuellen Positionen italienischer Dominikaner gegenüber der faschistischen Herrschaft. Dominikaner wurden z.B. Märtyrer des Faschismus, unterstützten Juden oder konnten in ein Konzentrationslager kommen. Der Archivar des zentralen römischen Archivs des Generalmeisters, Augustine Laffay, beschrieb die pragmatische Haltung des Generalmagisters Stanislas Gillet (Ordensmeister 1929-1946) inmitten der weltweiten Komplexitäten des Ordens und der Kirche. Anton Milh und Brian Heffernan stellten in ihren Beiträgen den flämischen und irischen Nationalismus anhand von Fallbeispielen vor im Kontext Belgiens und des Verhältnisses Irlands zu Großbritannien im Kontext der ersten Jahre irischer Unabhängigkeit, was zu großen Konflikten führte. Am Sonntag folgte der Vortrag von Petrk Macek über die Auseinandersetzungen zwischen tschechischen Dominikanern mit dem Marxismus in den ersten Nachkriegsjahren 1945-1948.
Drei die Tagung beurteilende und auswertende Stellungnahmen folgten und regten die Diskussion an. Der Franziskaner Damian Bieger stellte drei Punkte vor: er skizzierte den theoretischen Horizont der Franziskaner in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert, stellte einige Herausforderungen der Ideologien von Nationalismus, Sozialismus sowie Nationalsozialismus vor und ging auf die vielfältigen Haltungen zum Antisemitismus ein. Schließlich wurden noch kurz Fragen und weitere mögliche Themen benannt.
Klaus-Bernward Springer stellte fest, dass nur der letzte Beitrag sich ausdrücklich mit dem Kommunismus befasste. Dieser Mangel war von den Reaktionen auf den “Call for papers” bedingt. Die Situation im Ostblock mit ihren Wandlungen auch für die dominikanische Seite konnte also nicht adäquat in den Blick genommen werden. Außerdem wäre eine Präsentation der Situation in Spanien und des spanischen Faschismus einschließlich des Bürgerkriegs von Interesse, der etwa 250 Fratres das Leben kostete. Vorgeschlagen wurde, den Wandel der dominikanischen Seelsorge in den vielfältigen ideologischen Kontexten zu untersuchen.
Viliam S. Dóci, Direktor des historischen Instituts des Ordens in Rom, stellte in seinem ausgewogenen Statement u.a. fest, dass die Gefahr von Ideologien nicht immer sofort erkannt wurde und verwies auf den Beitrag zu Aurelius Arkenau. Auf der Basis einer gemeinsamen theologischen Ausbildung arbeiteten die Fratres unterschiedlich, so dass sich etwa die Frage nach den verschiedenen Facetten des Thomismus stellt. Die Haltung der Oberen war oft vorsichtig und pragmatisch als Reaktion auf die unterschiedlichen Einstellungen der Brüder und ihrer vielen und unterschiedlichen Arbeitsfelder.
Insgesamt war es gut, dass diese Tagung und dieses Thema behandelt wurden. Viliam Doci stellte fest, wie eng intellektuelle, kirchenpolitische und politische Geschichte miteinander verzahnt waren. Das Thema des Kongresses war sehr weit gefasst und konnte auf der Versammlung nicht erschöpfend behandelt werden. Das war auch nicht die Absicht der Veranstalter gewesen. Doch brachte die Tagung nicht nur vieles Unbekannte zu Tage, sondern zeigt auch den Facettenreichtum innerhalb des Ordens. Eine Evaluation des Phänomens der Ideologien des 20. Jahrhunderts ist (noch länger) nicht möglich. Doch wurde für den Bereich „Dominikaner und Ideologien des 20 Jahrhunderts” eine interessante komparative Perspektive eröffnet. Die Publikation wird in englischer Sprache erfolgen.
Inhalt des Kongresses:
Freitag 19.11., 2 p.m.: Elias H. Füllenbach OP, Welcome and introduction.
2.30-3.15 p.m., Claus Arnold (Mainz), Albert Maria Weiß OP. Ideologiekritiker und Ideologe.
3.15-4.00 p.m., Tomás Petracek (Prague), Bible Schola Vincent Zapletal, and His Reflections on the Social, Political and Ecclesiastical Challenges of the First Half of the 20th Century.
Coffee break
4.30-5.15 p.m., Sabine Schratz OP (Dublin-Rome), An American Prelude: The Holy Office and the Worker Question in the 19th Century.
5.15-6.00 p.m., Carsten Barwasser OP (Vallendar), Eine falsche Philosophie führte zu einem falschen Denken. Der strikte Thomismus als philosophische Grundlage dominikanischer Ideologiekritik.
Dinner.
7.00 p.m., Elias H. Füllenbach OP (Cologne), Public evening lecture: Aurelius Arkenau OP und die Dominikanerprovinz Teutonia im Nationalsozialismus.
Samstag, 20.11.
9.09- 9.45 a.m., Chiara Tessari (Rome), Franziskus Maria Stratmann and Antonin-Gilbert Sertillanges: Two different Responses to Patriotic Nationalism and Pope Benedict`s Internationalism, 1914-1930.
Kaffeepause
10.15-11.00 a.m., Alberto Casella (Milan), Différentes attitudes des dominicains italiens des provinces Utriusque Lombardiae et Saint Pierre-Martyr vis-à-vis du facisme (via Zoom).
11.00-11.45 a. m., Augustin Laffay OP (Rome), Les liaisons dangereuses du Maître de l’Ordre Stanislas Gillet.
3.15-4.00 p.m., Anton Milh (Leuven), The Dominicans and Flemish Nationalism, 1914-1945.
4.00-4.45 p. m., Brian Heffernan (Leuven), The Dominicans and Irish Nationalism, 1915-1923.
18 Uhr: Besuch des Universitätskirche (frühere Dominikanerkirche) mit Abendgebet und anschließendes Abendessen in Auerbachs Keller.
Sonntag, 21.11.
10-1o.45 Uhr: Petrk Macek (Hradec Králové), Czech Dominicans Struggling with Marxism; 1945-1948.
Diskussionsanregungen von Damian Bieger OFM (Dortmund), Klaus-Bernward Springer (Köln) und Viliam S. Dóci (Rom).